Das Vorurteil ist das Kind der Unwissenheit / William Hazlitt

Am nächsten Tag liefen wir von Prizren aus zur Festung Kalaja hinauf.

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Der Wanderweg ist gut ausgebaut, immer wieder eröffnet sich ein anderer Blick auf die Berge, die Stadt und die Festung. Die Festung liegt 525 m über Meer und bietet einen fantastischen Blick auf die gesamte Stadt. Bei Ausgrabungen wurde entdeckt, dass der Platz schon seit der Bronzezeit (2.200 bis 800 v. Chr.) besiedelt war. Es wurden auch Spuren aus der Eisenzeit, der Römerzeit und spätantike Funde gemacht. Bei den archäologischen Ausgrabungen seit 1969 fand man Reste von mittelalterlichen und osmanischen Wohnbauten. Es hat früher ein Hamam und eine Moschee gegeben. Die militärischen Anlagen wurden bis 1912 genutzt, danach verfiel alles. Seit 2008 beschäftigt man sich mit Konservierungs- und Sanierungsarbeiten. Beim Abstieg in die Stadt dann das große Ereignis – endlich – eine junge Frau mit Kopftuch.

Prizren ist eine Stadt mit vielen Sehenswürdigkeiten, Kulturschätzen und Moscheen, lauschigen Plätzen und dem Flüsschen Bistrica, über das sich an einer Stelle wahrscheinlich seit dem Ende des 15. Jahrhunderts eine osmanische Steinbrücke spannt, die die alten Stadtteile verbindet. Diese Brücke wurde 1979 durch ein Hochwasser zerstört und danach originalgetreu wieder aufgebaut. Für mich ist sie ein optisches Kleinod, ich habe sie jetzt als Desktophintergrund auf meinem PC.

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Diesen kurzen Spaziergang durch die Stadt habe ich wirklich genossen. Überall saßen die Menschen in den hübschen Straßenrestaurants, aßen in geselliger Runde zu Mittag und plauderten. Einen Blick warf ich in die Sinan-Pascha-Moschee, ein imposantes Bauwerk, das größte islamische Gotteshaus im Land und Wahrzeichen von Prizren. Sie wurde zwischen 1600 und 1615 vom Wesir Sinan Pascha errichtet aus den Steinen des 1455 von den Osmanen zerstörten Erzengelklosters. Das Minarett ist 42 m hoch.

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In einem wunderschönen Restaurant aßen wir Fleisch, knackigen Salat und frisches Brot zum Mittag – sehr lecker und preiswert.

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Ich muss es hier ganz einfach mal erwähnen: Wo ich auch hinkam, was ich auch fragte, die Menschen waren zuvorkommend, freundlich und gaben bereitwillig Auskunft. So auch in einer Türbe (muslimisches Mausoleum oder Grabstätte in einem prachtvollen Häuschen), von der ich vorher schon einmal im Internet gelesen hatte. In unseren Kirchen befinden sich die Särge von bedeutenden Persönlichkeiten der Vergangenheit meist in einem Kellergewölbe. Ich durfte zwar ein Foto machen, werde es aber für mich behalten. Plötzlich ertönte von einem Minarett ganz in der Nähe der Ruf des Muezzin (ruft die Muslime zum Gebet – vergleichbar mit dem Läuten der Kirchenglocken), und dann hörte man den Ruf auch von allen anderen Minaretten der Stadt. Heute wird der Ruf meist über Lautsprecher übertragen, früher stand der Muezzin, der übrigens kein Geistlicher ist sondern zum Personal der Moschee gehört, direkt auf dem Minarett. Es war beeindruckend, denn vorher hatte ich nur Kirchenglocken in natura erlebt. Auf unserem Weg durch die Stadt überholte uns ein Wohnmobil mit deutschem Nummernschild - zwei junge Leute auf ihrer Reise durch den Kosovo. Sollte das vielleicht Symbolcharakter haben?

Sehr früh waren wir auf den Beinen nach Albanien in den Badeort Durres an die Küste der Adria, vier Stunden Busfahrt vor uns. Bei der Ankunft erstürmten gleich einige Leute den Bus, um die Neuankömmlinge in Beschlag zu nehmen. Eine Frau hielt meinen Arm umklammert, ich verstand kein Wort. Mein Freund erklärte mir, dass sie ein Zimmer zum Übernachten anbietet. Es zog uns zum Wasser, denn es war sehr heiß, und eine frische Brise würde uns gut tun.

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Der Strand ist kilometerlang, eine Liege an der anderen. Ich bewunderte die Seebrücken, wie ich sie von der Ostsee kenne. An der schmalen Promenade gibt es kleine Läden, Stände mit Spielzeug und Strandbekleidung, Möglichkeiten zum Telefonieren, Restaurants und Eiscafes mit ganz leckerer Eiscreme. Offene, stinkende Müllcontainer und große Löcher auf dem Gehweg der Hauptstraße gaben ein ganz anderes Bild dieses Ortes, der mit viel Arbeit und Organisationstalent noch zum echten Badeort werden kann. Für Fußgänger ist die Stadt eine wahre Herausforderung. Ich habe keinen Fußgängerüberweg gesehen. Man muss im Schweinsgalopp über die stark befahrenen Straßen flitzen, um auf die andere Seite zu kommen – ein Beitrag zur Fitness der Leute? Nachdem wir den ganzen Tag herumgelaufen waren, freuten wir uns schon auf die Ruhepause im Bus. Da wir noch ein wenig Zeit hatten bis zur Abfahrt, tauschten wir unsere restlichen Lek in Naschereien um. Welch ein Schreck – der Bus war weg, 15 Minuten früher abgefahren. Der schnellen Reaktion meines Freundes und der Fahrkunst eines Taxifahrers ist es zu verdanken, dass wir ihn doch auf der Hauptstraße noch erreichten und kein Hotelzimmer buchen mussten. Wenn ich Albanien das nächste Mal besuche, bin ich gespannt auf die Hauptstadt Tirana.

Ein absolutes Muss, wenn man in Kosovo Urlaub macht, ist der Besuch des Adem-Jashari-Monuments in Prekaz. Im folgenden Video einiges zur Geschichte.

http://youtu.be/kDHp8UWOrNI

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Nachdem das Haus mehrere Tage lang beschossen und die meisten Bewohner tot waren, fanden die serbischen Soldaten ein lebendes Mädchen, ich glaube 11 Jahre alt, unter all den Toten. Sie nahmen es bei der Hand, zeigten ihm jeden einzelnen Toten (Oma, Opa, Mutter, Vater, Geschwister, Cousinen, Cousins) zur Identifizierung. Noch heute werden Menschen, die irgendwo in Massengräbern verscharrt wurden, von ihren Angehörigen gesucht.

Viele andere schlimme Ereignisse auf der ganzen Welt haben das, was hier geschah in Vergessenheit geraten lassen. Doch wir sollten uns auch daran erinnern, wenn wir heute einem Kosovo-Albaner begegnen. Der Titel meines Blogs lautet nicht umsonst: Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut. Und wenn wir ganz ehrlich sind, gibt es auch im Leben jedes einzelnen von uns Situationen, in denen wir Mut haben müssen, um unsere persönliche Freiheit zu verteidigen, sei das Land in dem wir leben noch so demokratisch.

Ich war in vielen Ländern unterwegs, habe die Sehenswürdigkeiten, die landschaftlichen Schönheiten, die Geschichte erkundet, aber auch nie die Augen vor den Problemen der Menschen verschlossen. Ich empfinde Kosovo als ganz normales Land. Im Erscheinungsbild gleicht es manchmal ein bisschen Spanien, ein anderes Mal ein bisschen Frankreich, sogar zum Osten Deutschlands vor etlichen Jahren konnte ich Parallelen entdecken. Natürlich liegt noch ein schönes Stück Arbeit vor den Menschen. Investitionen sind dringend nötig, der Tourismus, die Energieversorgung, das Gesundheitswesen müssen ausgebaut werden, um nur Einiges zu nennen. Das geht nicht von heute auf morgen. Man muss aber aufpassen, dass die Hilfe auch dort ankommt, wo sie benötigt wird. Ich werde jedenfalls dieses Land weiter erkunden und mir dafür Zeit nehmen, in meinem nächsten Urlaub. Ach ja, beinahe hätte ich es vergessen: Das zweite Kopftuch sah ich an einer türkischen Frau am Tag meines Rückflugs. Sie checkte nach Istanbul ein.

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